Gedenkveranstaltungen

»Traditionelle Matinee anlässlich des 85. Jahrestags der NS-Pogromnacht am 05.11.2023

»Traditionelle Matinee anlässlich des Jahrestages der NS-Pogromnacht am 30.11.2022
»Traditionelle Matinee in Erinnerung an den 9. November 1938 am 14. November 2021

»über das Gedenken an ermordete Widerstandskämpfer am 25.07.2021 auf dem VdN-Ehrenhain des Friedhofs Adlershof

»Matinee des BdA Treptow am 10.11.2019 zum 81. Jahrestag der faschistischen Pogromnacht 1938

»09.11.2018 im Rathaus Treptow zum 80. Jahrestag der NS-Pogromnacht von 1938

Traditionelle Matinee anlässlich des 85. Jahrestags der NS-Pogromnacht am 05.11.2023

Traditionelle Matinee anlässlich des Jahrestags der NS-Pogromnacht am 30.11.2022

 
Die Schaleks – eine mitteleuropäische Familie
Vortrag von Ralf Pasch
Musik: Naches-Trio (Klezmer)
Rathaus Treptow, Rathaussaal (Raum 218) 
 



Traditionelle Matinee in Erinnerung an den 9. November 1938 am 14. November 2021

Wegen Erkrankung der Referentin übernahm Ellen Händler kurzfristig die Gedenkrede:

„Mehr als 80 tote jüdische Deutsche in meiner Familie – das ist ein Druck auf meinen Schultern.

Diesen Druck verspürten meine Eltern schon, als sie 1946 aus dem englischen Exil nach Deutschland zurückkehrten. Da wussten sie bereits, dass wohl niemand ihrer Lieben überlebt hatte. Sie waren der Überzeugung: Die Nazis sollten es nicht geschafft haben, Deutschland „judenfrei“ zu machen, sie wollten am Wiederaufbau aktiv teilnehmen.

Das fiel ihnen sehr schwer, denn überall lebten ja noch die Nazis, die Mitläufer, die Ariseure. Sie alle wollten es nicht gewesen sein, sie wollten sich nicht erinnern.

Aber man muss erinnern, darf nicht vergessen! Sechs Millionen Tote dürfen nicht vergessen werden.

Auch nicht meine beiden Großväter, die für Deutschland freiwillig in den 1. Weltkrieg gezogen und dafür noch geehrt worden sind. Nach dem 9. November 1938 erinnerte sich niemand daran, da waren sie nur noch Juden, die verfolgt, entrechtet, umgebracht wurden. 

Dass ich ohne Großeltern, Tanten und Onkel – ohne Verwandte – aufwuchs, gehört zu meinem Trauma:
 Leopold Simon, mein Großvater mütterlicherseits, starb am 14. November 1938 im KZ Buchenwald. Albert Händler, der Großvater väterlicherseits, höchstwahrscheinlich im Juni 1942 in Auschwitz. Von ihm blieb nicht einmal eine Karteikartei über seinen Transport dorthin. 

Leopold Simon wurde mit den anderen 50 jüdischen Männern am 9. November 1938 durch seine Heimatstadt Quakenbrück getrieben und geschlagen. Ihre kleine Synagoge steckten die Nazis in Brand. Alle Männer kamen ins KZ Buchenwald, wo mein Großvater gleich bei der Ankunft auf dem Appellplatz zu Tode geprügelt wurde. Seine Urne erhielt meine Großmutter per Post nach Zahlung einer entsprechenden Gebühr. So gibt es für meinen Großvater als einzigen der ermordeten 80 Familienmitglieder einen Grabstein.

Meinen anderen Großvater und meinen Vater verschleppten die Nazis nach dem 9. November 1938 aus Hirschberg im Riesengebirge in das KZ Sachsenhausen. Beide wurden durch die Familien „herausgekauft“. Mein Vater erhielt noch ein Visum und kam mit der letzten Möglichkeit Ende August 1939 in England an.

Alle anderen zu dieser Zeit noch in Deutschland lebenden Familienmitglieder wurden in Auschwitz ermordet.

Meine Mutter Hella und ihre Schwester Ully überlebten, weil Quäker in England bereit waren, 10 000 deutsche Kinder aufzunehmen …

Dort lernten sich meine Eltern in der FDJ kennen, sie heiraten am 17. März 1945 in London.

Ihre Familien gab es nicht mehr.

Wie meine Eltern gründete auch ihre Schwester Ully in England wieder eine Familie, mit Kindern und vielen Enkeln. Die Nazis haben es nicht geschafft …

Meine Eltern beteiligten sich aktiv am Wiederaufbau und auch an der Suche nach den Nazis, die das Unglück über sie, alle anderen Juden und ganz Europa gebracht hatten. 

Aber wie gingen in ihren Heimatorten ehemalige Mitschüler, Freundinnen, Nachbarn damit um?

Der Gedenkstein an der Stelle, wo in Quakenbrück die Synagoge gestanden hatte, wurde von unserer Familie bezahlt. Dafür fand sich damals niemand anderes.

Erst im Jahr 2012 wachte das Gewissen – oder wie will man das nennen? – auf. Jetzt war man bereit, Stolpersteine zu legen und einen 2. Gedenkstein für die vernichtete Synagoge zu errichten. Makaber – heute stehen dort zwei Gedenksteine.

Seit 1710 hat die Familie meiner Mutter nachweislich in Quakenbrück gelebt.

1970, 25 Jahre nach der Befreiung, suchte das erste Mal ein Lehrer dort nach Überlebenden. Im Frühjahr 2012 wurden die ersten Stolpersteine für Jüdinnen und Juden in dieser niedersächsischen Stadt verlegt. Auch für meine Familie mütterlicherseits, unter ihnen Hella und Ully. Ully reiste von Manchester nicht nach Quakenbrück, aber ihre Tochter verlas einen Brief von ihr. Hella fuhr mit uns Töchtern hin und sprach selbst.

Es gibt den Grabstein für meinen Großvater in Quakenbrück, aber für keinen weiteren Familienangehörigen meiner Eltern. Man sollte sie vergessen.

Wir wollen aber nicht vergessen! Wir dürfen nicht vergessen!

Ich habe deshalb in der Reinhold-Burger-Schule in Pankow am 7. November 2020 von meiner Familie erzählt. Es gibt zum Glück Lehrerinnen und Lehrer, die mit den Schülern über die NS-Zeit sprechen, mit ihnen nach Auschwitz fahren. Die Lehrerin Liane Matern war mit 84 Schülern dort.

Danke ihr! Solche Menschen helfen zu erinnern!

Leider leben fast keine Verfolgten mehr. Sie können über ihr Leid und ihren Weg nicht mehr sprechen. Das haben sie uns übertragen, auf unsere Schultern gelegt.

Ich möchte gern in Schulen, in Schülerprojekten junge Menschen helfen, sich die Geschichte selbst anzueignen, aktiv mit ihnen arbeiten, sie dabei unterstützen, sich konkret einer Familie, einem Menschen zuzuwenden.

Die Initiative Stolpersteine ist dafür ein guter Weg. Der BdA Treptow hat neue aktive MitstreiterInnen gewonnen, die sich dieses Themas annehmen. Wir vernetzen uns gerade wieder stärker in unserem Bezirk.

Bitte meldet Euch, wenn Ihr mithelfen könnt!

Unsere Eltern, die Verfolgten des Naziregimes, konnten sich nicht vorstellen, dass Nazis wieder so offen und gewalttätig rassistisch und auch antisemitisch auftreten. Als Reaktion auf die Schändung des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park Ende 1989 gründeten sie hier im März 1990 einen antifaschistischen Verein, aus dem später der Bund der Antifaschisten Treptow hervorging.

Wir dürfen den Nazis, die wir leider auch im Bezirk, in der BVV haben, nicht tatenlos zuschauen. Wir müssen aktiv sein, aufpassen und uns ihnen entgegenstellen mit vielfältigsten Initiativen.  

Wir dürfen niemals vergessen, was in Deutschland so Fürchterliches geschah. Es darf sich niemals wiederholen. Wir müssen uns erinnern! Besonders, aber nicht nur am 9. November.



Dr. Johanna Mauer

über das Gedenken an ermordete Widerstandskämpfer am 25.07.2021 auf dem VdN-Ehrenhain des Friedhofs Adlershof

„In einer Gedenkstunde erinnerte der Bund der Antifaschisten Treptow e.V. an zwei antifaschistische Widerstandskämpfer, die am 25.Juli 1941 in Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet wurden – Otto Nelte und Willi Gall.

Beide bleiben unvergessen, ihre Namen sind eingemeißelt auf einer steinernen Säule, die auf dem Urnenfeld der VVN des Adlershofer Waldfriedhofs einen würdigen Platz einnimmt.

Ihr Wirken in der Widerstandsgruppe Adlershof, Bohnsdorf und Altglienicke im Berliner Südosten hatte maßgeblichen Einfluss auf die Festigung und weitere Entwicklung der Gruppe von Frauen und Männern, die sich schon frühzeitig zusammengefunden hatten, um dem Faschismus zu trotzen.

  Otto Nelte, 1898 in Berlin geboren und aufgewachsen, gelernter Metallarbeiter und gewerkschaftlich organisiert, war Mitglied der KPD und übernahm 1938 die politische Leitung der illegalen Zellen im Südosten Berlins. Die aktive illegale Tätigkeit bestand hauptsächlich in der Herstellung und Verteilung von Flugblättern, Sicherung des organisatorischen Zusammenhalts Gruppe und Gewinnung aktiver Mitglieder, Verbindungen zu Sozialdemokraten, zum Arbeiter-und Jugendsport sowie Gewinnung von Sympathisanten und Unterstützern der illegalen Arbeit.

   Willi Gall, in Falkenstein/Vogtland geboren, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Zittau/Pethau, erlernter Beruf Dreher, Mitglied des Arbeitersportvereins in Pethau trat 1921 der KPD bei und wurde Mitglied der Unterbezirksleitung in Zittau.

1933 emigrierte er in die Tschechoslowakei und betätigte sich dort am antifaschistischen Widerstand.

Der drohende Einmarsch der faschistischen Wehrmacht 1939 veranlasste ihn die CSR zu verlassen. In Abänderung seines zunächst gefassten Planes, sich in die Schweiz oder nach Holland oder Belgien zu begeben, beschloss er nach Dänemark zu emigrieren. Bei Flensburg überschritt er die deutsch-dänische Grenze, knüpfte Beziehungen zu politisch Gesinnten und gelangte auf Umwegen an einen Mittelsmann des in Schweden befindlichen illegalen ZK der KPD und wurde mit der Aufgabe betraut, als Verbindungsmann zu illegalen Widerstandsgruppen in Deutschland eingesetzt, um sie zu beraten und die illegale Arbeit unter den neuen Bedingungen des von Deutschland entfesselten Krieges zu unterstützen.

Er reiste 1939 unter falschem Namen mit einem schwedischen Pass versehen, nach Berlin, um die noch aktiven Gruppen hier im Südosten Berlins zu betreuen.

So trafen sich zwei bewährte Antifaschisten, die den bereits in illegaler Arbeit erfahrenen Genossen für ihre Arbeit notwendige Informationen über die internationale Lage in Europa übermittelten, gemeinsam mit ihnen notwendige Strategien diskutierten, um mögliche Wege und Formen des Widerstandes gegen Hitler und Krieg in konkrete Tätigkeit umzusetzen.

Willi Gall war denen, mit denen er notwendig zu tun hatte, unter dem Decknamen „Max“ bekannt.

Meine Eltern, Rudolf und Berta Ehrlich, die der Widerstandsgruppe Adlershof, Bohnsdorf und Altglienicke angehörten, boten ihm in der Zeit seines Aufenthaltes günstige Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten. Mein Vater war Mitglied der KPD, meine Mutter war parteilos, aber politisch an der Seite meines Vaters. Sie betrieb einen kleinen Lebensmittelladen in unserer Siedlung, der gute Voraussetzungen bot, um

Flugblätter zu verbreiten, Informationen weiterzuleiten und Gespräche zu führen.

In Erinnerung habe ich viele schöne Stunden, die ich mit meinen Eltern auf Zeltplätzen mit Gleichgesinnten und ihren Kindern auf Zeltplätzen am Uklaysee und anderen Seen erlebte. Wir Kinder vergnügten uns mit Spielen auf der Wiese, während unsere Eltern vor den Zelten zusammensaßen und ununterbrochen miteinander redeten.

In Erinnerung habe ich Onkel Max, dem meine Eltern illegale Unterkunft gewährten und der fast zur Familie gehörte, dann aber auch zeitweilig abwesend war, um nach einigen Tagen wieder bei uns wohnte.

Ich war10 Jahre alt, zwischen meinen und mir herrschte ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, ich kannte bereits gewisse Regeln, wie ich mich zu verhalten habe, wenn mich andere über interne Dinge der Familie ausfragen.

Ich akzeptierte Max als meinen Onkel und wusste, dass seine Anwesenheit geheim bleiben musste.  

Unvergessen und prägend für mein ganzes Leben war der 14.Dezember 1939.

Ich kam mittags aus der Schule in Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest und die Schulferien.

Als ich mich der Siedlung näherte, in der wir wohnten, wurde ich von einer Bewohnerin hinter dem Gartenzaun leise gewarnt, mich dem Elternhaus zu nähern, weil dort geschossen wurde.

Ich bin impulsiv, ohne zu zögern auf unser Haus und unser Grundstück zugelaufen, das von Polizei und zivilen Personen umringt war und rief nach meiner Mutter.

Ich sah, wie Onkel Max schwer verwundet zu einem Auto geschleift wurde und wenig später meine Mutter von 2 Männern fest im Griff durch zivile Gestapobeamte festgehalten abgeführt wurde. Wir konnten uns nicht verabschieden, nicht umarmen. Ich habe ihren Zuruf im Ohr:“ Lauf zu Großvater. Ich komme bald zurück“.

Meinen Vater konnte ich nicht informieren, weil er zur gleichen Zeit auf seiner Arbeitsstelle durch die Gestapo verhaftet wurde.

Erst 1941 erfuhr ich aus der Presse von den Schauprozessen des sogenannten Volksgerichthofes und Urteilen des sogenannten Volksgerichtshofes, die Willi Gall und Otto Nelte zum Tode durch den Strang, meine Eltern zu 14 und 12jähriger und die Ehefrau von Otto Nelte zu 10-jähriger Zuchthausstrafe verurteilten.

Zur Abschreckung der Bevölkerung wurden am nach der Vollstreckung Todesurteile an allen Litfass-Säulen Plakate mit folgendem Text veröffentlicht:

          Bekanntmachung

          Die am 23.Januar 1941 vom Volksgerichtshof wegen Zersetzung der

          Wehrkraft des deutschen Volkes, landesverräterischer Feindbegünstigung und

          Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode und dauernden Ehrverlust der

          bürgerlich Ehrenrechte verurteilten

          Willi Gall aus Pethau 32 Jahre alt und Otto Nelte aus Berlin  42  Jahre alt heute hingerichtet worden.

           Berlin, den 25.Juli 1941

Nach Beendigung des Krieges und Befreiung meiner Eltern aus dem Zuchthaus erfuhr ich aus ihren Erzählungen vieles mehr über die antifaschistische Widerstandstätigkeit.

Leider war es meinen Eltern nicht möglich Einsicht in die sie persönlich betreffenden Prozessakten zu nehmen, da sie unter strengem Verschluss lagerten und nur einem bestimmten Personenkreis für wissenschaftliche Zwecke zugänglich waren.

So konnten sie nur erzählen, was sie aus eigenem Erleben im Gedächtnis hatten.

Erst nach dem Beitritt der DDR zur BRD wurde mir als Tochter meiner längst verstorbenen Eltern Einsicht in die vom sogenannten Volksgerichtshof angefertigten Prozessakten ermöglicht.

In den Prozessakten befindet sich unter anderen das Protokoll über den Ablauf der Exekution von Willi Gall und Otto Nelte am 25. Juli 1941 mit dem Hinweis, dass die Leichname dem Kriminaltechnischen Institut zur Verwendung für Forschungszwecke überwiesen wurden.

Meine Eltern haben nach der Befreiung Kontakt zu Genossen und Mitstreitern von Willi Gall in Zittau aufgenommen und ich hatte Gelegenheit gemeinsam mit meinen Eltern die Gedenkstätte für Willi Gall in Pethau zu besuchen.

Nachdem man dem nach ihm benannten Sportstadion nach der Wende den Namen Willi Gall entzog, hoffe ich, dass der große Naturstein mit seinem eingemeißelten Namen noch eine Stätte der Mahnung und Erinnerung an einen standhaften und aufrechten Antifaschisten geblieben ist.

All dies berichtete ich den 25 Anwesenden der Gedenkstunde. Im Anschluss sprach unser Bezirksbürgermeister Oliver Igel sehr kenntnisreich über Leben und heutiges Erinnern an die Widerstandskämpfer Willi Gall und Otto Nelte.

Dies und eine musikalische Umrahmung war unsere Ehrung anlässlich des 80. Jahrestages ihrer Hinrichtung.“



Dr. Mario Keßler, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Matinee des BdA Treptow am 10.11.2019 zum 81. Jahrestag der faschistischen Pogromnacht 1938

Zwischen Verdrängung und Erinnerung. Die DDR und die Pogromnacht 1938

„Am 7. November 1938 schoss der siebzehnjährige Jude Herschel Grynszpan, dessen Eltern und Geschwister als gebürtige Polen soeben aus Nazideutschland ausgewiesen worden waren, in Paris auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath – er konnte nicht wissen, dass dieser ein Gegner des Hitlerregimes war. Vom Rath erlag zwei Tage darauf seinen Verletzungen. Grynszpan ließ sich von französischen Polizisten ohne Gegenwehr festnehmen; seine Spuren verlieren sich in Paris im Zweiten Weltkrieg, obgleich ihn Manche danach noch gesehen haben wollten. Die Naziführung nutzte das Attentat, um die deutschen und österreichischen Juden aus der Gesellschaft vollständig auszuschalten.

Am 9. November 1938 und den folgenden Tagen wurden in Deutschland und dem „angeschlossenen“ Österreich etwa vierhundert Juden ermordet, rund dreißigtausend verhaftet und in Gefängnisse oder Konzentrationslager gesperrt, über eintausend Synagogen wurden in Brand gesetzt und etwa siebzigtausend jüdische Läden zerstört.

Aus gegebenem Anlass möchte ich heute einen kurzen Überblick zum Umgang mit diesem schrecklichen Ereignis in der Presse und Geschichtsforschung der DDR gegeben; die Bundesrepublik bleibt unberücksichtigt. Nicht berücksichtigt werden kann auch die Behandlung der Pogromnacht in Film und Fernsehen, obgleich Fernsehsendungen wie Die Nacht der Pogrome (1982) oder Als die Synagogen brannten (1988) ebenso wie Spielfilme, so Professor Mamlock (1961) oder Jakob der Lügner (1974), ein breites Publikum erreichten. Auch die Darstellung in Museen und der Belletristik muss weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Das Gleiche gilt für Schul- bzw. Hochschullehrbücher.

Von seinem Grundgehalt musste der Antifaschismus der DDR eine Projektion der Leiden, Lebenserfahrungen und Vorstellungswelt der Vertreter des kommunistischen Widerstandes auf die gesamte Gesellschaft sein. Die ideologische und kulturelle Hegemonie dieser Erfahrung einer Minderheit war Ausdruck der Dominanz dieser politischen Generation. Sie beanspruchte aus der Beteiligung an der Opposition gegen Hitler und der eigenen, oft tragischen Verfolgungsgeschichte, Richtung und Ziel der politischen Neuordnung in der DDR zu bestimmen. Die kommunistischen Widerstandskämpfer sahen die eigenen politischen Wertmaßstäbe und Normen als verbindlich für die gesamte Bevölkerung an. Die Erfahrung von politischer Verfolgung im Nationalsozialismus führte bei dieser Generation zu Verhärtungen und Feindbildern. Damit ging auch ein Verlust an politischer Toleranz einher, was natürlich auch mit der Stalinisierung der KPD bereits in den zwanziger Jahren zusammenhängt. All dies übte nachhaltige Wirkungen auf die innenpolitische Atmosphäre der DDR aus. Aber diese Legitimation durch die antifaschistische Tradition diente der politischen Führung der DDR immer auch zur Kompensation von Defiziten, die bei der Akzeptanz des politischen Systems durch die Bevölkerung auftraten, bzw. bei der Nicht-Akzeptanz.

Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust bemaß sich in der DDR in hohem Maße an der Behandlung der jüdischen Frage in der Arbeiterbewegung, speziell der kommunistischen Arbeiterbewegung vor 1945. Die kommunistische Haltung gegenüber dem Antisemitismus und der so bezeichneten jüdischen Frage vor Auschwitz berief sich vorwiegend auf die politisch-sozialen Dimensionen von Antisemitismus und jüdischer Emanzipation, ignorierte indes die ethnischen und religiösen Komponenten dieser Frage auch dort, wo diese besonders ins Gewicht fielen: in Osteuropa. Stattdessen wurde das alte kommunistische, aber keineswegs nur kommunistische Assimilationsparadigma als beinahe einzige Lösung zur jüdischen Frage angeboten.

Das prägte auch die Sicht auf die nazistische Vernichtungspraxis. Deren Einmaligkeit und irrationale Motivation wurden, wenn auch keineswegs vollständig, so doch zum Teil verkannt. Denn auch nach Auschwitz gab es für die offizielle kommunistische Bewegung keine jüdische Frage, die nicht im Rahmen eines sozialistischen Staates ihre Lösung finden würde. Diese Sicht fand ihren Ausdruck auch in der mangelnden Fähigkeit der politischen Führung der DDR, zum Staat Israel eine Beziehung herzustellen, obwohl natürlich dabei, neben anderen Faktoren, auch die außenpolitischen Rahmenbedingungen und die Politik der Sowjetunion eine entscheidende Rolle spielten. Deshalb wurde im Verhältnis zu Israel die Frage nach „Wiedergutmachung“ als Grundlage einer noch so fragilen Versöhnung ausgeklammert. Denn als das „andere Deutschland“ in Verlängerung der kommunistischen Traditionslinie lehnte die DDR auch jegliche „Wiedergutmachungs“-Leistungen an die Überlebenden des Holocaust im Ausland ab.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit aber dominierte die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit durch intensive Erinnerung. Auf der offiziellen Gedenkfeier der SED sprachen z.B. 1946 Ottomar Geschke, Mitglied des Parteivorstandes, und Julius Meyer. Dieser war damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin und gleichzeitig Mitglied der SED. Er hob hervor, dass den Juden durch den Nationalsozialismus ein besonderes Unrecht angetan worden war. Im Jahre 1947 berichtete das Neue Deutschland in zwei Artikeln über Gedenkveranstaltungen zum 9. November. Beide Artikel bemühten sich um eine Analyse, die die ökonomischen Seiten des NS-Raubzuges an den Juden herausstrich.

Auch die Forderung nach „Wiedergutmachung“ wurde aufgeworfen. Sie sollte die Landtage in der Sowjetischen Besatzungszone in den nächsten Jahren immer wieder beschäftigen, bis am 17. April 1948 ein Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD)

eine Restituierung jüdischen Eigentums ausschloss. Der Befehl sah eine Überführung der von den Nazis „arisierten“ und dann unter sowjetische Verwaltung gestellten Betriebe in Volkseigentum vor. Ausgewanderte Juden erhielten, entgegen den Vorstellungen besonders von Paul Merker, prinzipiell keinen Schadensersatz zugebilligt.

Doch gab es 1948 eine Reihe an Gedenkveranstaltungen zum 10. Jahrestag der Pogromnacht, so der Jüdischen Gemeinden, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der Kirchen, über die die Presse unfassend informierte. Paul Merker charakterisierte im ND die Pogrome als ein Mittel zur Ablenkung der betrogenen Volksmassen von ihrer eigenen Unterdrückung durch das Hitlerregime. Der frühere Buchenwald-Häftling Walter Barthel betonte in einer Rede im Deutschen Theater in Berlin, die Pogromnacht habe nur geschehen können, weil es die deutschen Arbeiter 1918 versäumt hätten, die Herrschaft der Generäle, Thyssens und Krupps zu beseitigen.

Im Jahre 1948 erschienen in der Sowjetischen Besatzungszone auch erste Arbeiten über die Ursachen und Hintergründe des Antisemitismus in Deutschland, in dessen Resultat ein Großteil des europäischen Judentums ermordet worden war: die beiden Broschüren von Stefan Heymann, einem Überlebenden der nazistischen Todesfabriken, und von dem aus englischen Exil zurückgekehrten Siegbert Kahn. Sie knüpften an die Erkenntnisse der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse an, besonders an die unheilvolle Allianz zwischen Naziführung und Teilen des deutschen Industrie- und Agrarkapitals. Sie verwiesen auch auf den historischen Platz und die soziale Funktion von Rassismus und Antisemitismus, denen sie, noch vor dem Antikommunismus, den zentralen Platz in Hitlers Ideologie zuwiesen.

Zu dieser Zeit, im Jahre 1948, waren in Ostdeutschland fast 13.000 Personen wegen ihrer Beteiligung an Naziverbrechen verurteilt, während im dreimal größeren Westdeutschland nur 6.450 Personen aus diesem Grund im Gefängnis waren. Doch veränderte sich zur selben Zeit die Politik der Sowjetunion gegenüber Israels von der Unterstützung bei der Staatsgründung zur offenen Feindschaft, als Stalin sehen musste, auf welche Sympathien der jüdische Staat unter sowjetischen Juden stieß. Zudem gingen seine – unrealistischen – Hoffnungen, Israel werde sich an die „Volksdemokratien“, die sowjetischen Satellitenstaaten, anlehnen, nicht in Erfüllung. Nun sah er in den Juden in toto eine „Fünfte Kolonne“ des Westens, und entsprechend brutal reagiert er mit der Verfolgung und Verhaftung sowjetisch-jüdischer Künstler und Wissenschaftler, mit der Inszenierung des antisemitischen Slánský-Prozesses in Prag sowie zuletzt mit der Verhaftung der jüdischen (und auch nichtjüdischer) Kreml-Ärzte, die für die Gesundheit der sowjetischen Führung Sorge trugen.

Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die DDR. Die seit 1950 zu beobachtende Welle an Parteiüberprüfungen, Verhaftungen, beruflichen Degradierungen und Parteiausschlüssen intensivierte sich während des gesamten Winters 1952/53. Auch die Jüdischen Gemeinden, soeben noch mit staatlichen Zuwendungen bedacht, galten nun als heimliche Verbündete des Imperialismus. Zu Beginn des Jahres 1953 wurden die Büros der Gemeinden von MfS- Mitarbeitern durchsucht, Gemeindemitglieder verhaftet und verhört und verschiedentlich den Gemeindemitgliedern vorgeworfen, sie seien als Zionisten bereit und fähig, im Auftrage des amerikanischen Geheimdienstes zu arbeiten. Auf diese bedrückenden Geschehnisse kann ich hier nicht detailliert eingehen; hoffe sie aber, in einer Biographie Paul Merkers, an der ich arbeite, ausführlich behandeln zu können.

In Kürze nur soviel: Erst der Tod Stalins am 5. März 1953 und die einen Monat später erfolgte Rehabilitierung der in Moskau verhafteten jüdischen Ärzte verhinderten auch in den DDR mögliche antisemitische Repressalien, nicht aber die Verurteilung Paul Merkers in einem Geheimprozess, in dem die Beschuldigung, er habe sich zum Handlanger des Zionismus gemacht, noch 1955 voll aufrechterhalten wurde.

Die folgenden Jahre waren deshalb auch Jahre der Verdrängung, wenngleich das Thema der Pogromnacht nicht ganz ausgeblendet wurde. Am 15. Jahrestag erinnerten 1953 regionale Zeitungen daran. Am 16. November erwähnte das ND kurz eine Gedenkveranstaltung der Jüdischen Gemeinde und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.

Um von eigenen Defiziten abzulenken, griff die DDR-Presse ein um das andere Mal die westdeutsche Seite an und hob die bereits wieder recht hohe Präsenz ehemaliger Nazis im öffentlichen Dienst und öffentlichen Leben der Bundesrepublik hervor. In den folgenden Jahren listete das ND fast alle rechtsradikalen Umtriebe in der Bundesrepublik und Westberlin auf, die gegen ein öffentliches Gedenken an die Opfer des November-Pogroms in Szene gesetzt wurden. Die ND-Artikel betonten dabei mit Recht, dass solche Umtriebe im Westen staatlicherseits toleriert wurden, während antifaschistische Aktivitäten als kommunistisch gesteuert galten und nur allzu oft von der Polizei und Justiz verfolgt wurden.

1956 wurde der Pogromnacht mit einer Kundgebung im Friedrichstadtpalast gedacht, die von der Jüdischen Gemeinde und vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer veranstaltet wurde. Das ND berichtete darüber nur kurz. Der Vorwärts, die Berliner Montagsausgabe des ND, klagte in einem längeren Beitrag „faschistische Banditen“ an, die in Westberlin eine Synagoge geschändet hatten. Der 19. Jahrestag der Pogromnacht wurde 1957 in der DDR durch die gleichzeitigen Feiern zum 40. Jahrestag der Russischen Oktoberrevolution überdeckt. Im Jahr darauf behandelte das ND unter der Überschrift „In der DDR siegten die Ideen des November“ die Novemberrevolution, aber ging nur am Rande auf die Gedenkfeiern zur Pogromnacht ein. Doch eröffnete die DDR 1958 auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Buchenwald den bekannten Gedenkkomplex. Arnold Zweig publizierte fast zeitgleich eine Sammlung von Tagebüchern von Überlebenden des Massenmordes.

Sehr viel schwieriger messbar ist die Alltagskultur jener Jahre. Sie ist einerseits an den Gedenktagen der Jüdischen Gemeinden ablesbar, andererseits an den parallelen, die es zur Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in der DDR durch die Aktivitäten der evangelischen Kirchen gab; hier sei besonders das Wirken der Aktion Sühnezeichen genannt, die sich auch in der Pflege jüdischer Friedhöfe hervortat. Auch hier eine Groteske des Kalten Krieges: 1955 gab es ein Angebot der DDR an den Senat von Westberlin zur Zusammenarbeit bei der Pflege des jüdischen Friedhofes in Berlin-Weißensee. Der Senat lehnte dies ab. Die Begründung lautete, es könne Westberliner Jugendlichen nicht zugemutet werden, zusammen mit der „Staatsjugend des Zonenregimes“ jüdische Grabstätten zu pflegen. Der Kalte Krieg war keineswegs nur von der DDR verursacht, sondern beide Seiten waren an der reaktiven Mechanik dieser Auseinandersetzung beteiligt.

Die Zeit der partiellen Verdrängung jüdischer Themen in der DDR endete spätestens, als am 23. Mai 1960 Israel die Verhaftung Eichmanns bekanntgab. Nunmehr waren die Gedenken an das Novemberpogrom mit ausführlichen und sehr materialreichen Untersuchungen über ehemalige Nazis im bundesdeutschen Staatsapparat und im Wirtschaftsleben verbunden. Die Namen Globke und Oberländer bildeten bekanntlich nur die Spitze eines Eisberges. Der Berliner Rabbiner Martin Riesenburger erklärte: Über dem Gedenkstein „schweben vier Hände, die von Globke und von Eichmann.“

In den 1960er Jahren trat das Gedenken an den 9. November 1938 zunächst wiederum zurück, doch nicht ersatzlos: Der 30. Januar 1933 und zunehmend auch der 20. Juli 1944 fanden verstärkt Aufmerksamkeit im ND und der übrigen DDR-Presse. Doch gedachten im Jahr 1963 staatliche und Parteifunktionäre gemeinsam mit Vertretern der Jüdischen Gemeinden des 25. Jahrestages des Pogroms. Im gleichen Jahr beteiligten sich erstmals die evangelischen Kirchen an den staatlichen Gedenkveranstaltungen.

Der 30. Jahrestag des Pogroms sah 1968 eine Serie von Gedenkveranstaltungen, 22 im Osten und mindestens 75 im Westen Deutschlands. Die zentrale Gedenkkundgebung der DDR fand nicht in Berlin, sondern in Dresden statt. Dort betonten Repräsentanten des Staates und der Jüdischen Gemeinden, die DDR sei die einzige Heimat ihrer jüdischen Bürger, was implizit hieß: keineswegs Israel. Werner Müller behandelte im ND ausführlich die Hintergründe des Novemberpogroms und strich erstmals die materielle Seite der sogenannten „Arisierungen“ heraus. Er bezog sich dabei auf die Erklärung der KPD „Gegen die Schmach der Judenpogrome“ vom November 1938, die jedoch „einen Abgrund zwischen Hitler und dem deutschen Volk“ feststellen wollte.

Seit Mitte der 1950er Jahre entstanden in der DDR erste Arbeiten zur Vernichtung der Juden. Zudem waren außer Erinnerungsberichten auch polnische und tschechoslowakische Literatur in Übersetzung erhältlich. Seit 1956 wurden in der DDR Dokumente zu den Nürnberger Prozessen und zum mörderischen Wirken der SS publiziert. Von anderen Büchern sei Friedrich Karl Kauls dokumentarischer Bericht über Herschel Grynszpan genannt.

Für die Zeitgeschichtsforschung der DDR blieben die Kommunisten, nicht die Juden, die Hauptopfer des Naziterrors. Aber es gab auch einige differenziertere Stellungnahmen, so in Aufsätzen der Historiker Gustav Seeber, Hans Schleier und Manfred Unger. Doch gab es Grenzen: So wurde Günter Paulus für eine unorthodoxe Interpretation des Faschismus gemaßregelt. Auch Helmut Eschwege ging in seinem Buch Kennzeichen J zu weit und zog sich die Missgunst ideologischer Hohenpriester zu: Das 1966 ohnehin nur mit jahrelanger Verzögerung gedruckte Buch sah die Vernichtung der Juden nicht primär als Folge kapitalistischer Klasseninteressen, sondern als Ergebnis einer tödlichen Dynamik, die dem Naziregime innewohnte.

Am Vorabend des Gedenkens von 1968 erschienen mehrere wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema. Schließlich wurde Friedrich Karl Kauls Buch über die „Ärzte“ von Auschwitz 1968 zur Initialzündung für eine im nächsten Jahrzehnt auch international bahnbrechende Forschung über die Rolle der Medizin im Naziregime.

In den Jahren ab 1971 nahmen die Angriffe auf die Bundesrepublik erkennbar ab, da diese seit Erich Honeckers Machtantritt nicht mehr als zu beseitigende kapitalistische Bastion in Deutschland, sondern als „normales“ kapitalistisches Ausland galt. Dem trug eine Vielzahl erkennbar sachlicher Untersuchungen zur Judenfeindschaft als Teil der faschistischen deutschen Politik Rechnung. Hier sind – nach dem frühen Buch von Wolfgang Heise über die intellektuellen Ursprünge des deutschen Nationalismus und Antisemitismus – Kurt Pätzolds Arbeit über die Anfänge der nazistischen Judenverfolgung wie auch Joachim Petzolds Untersuchung zu den ideologischen Wegbereitern der Nazis zu nennen.

Am 9. November 1978 schrieb Kurt Pätzold im ND aus Anlass des 40. Gedenktages, die Pogromnacht habe den Weg zum bisher ungekannten und unvorstellbaren Massenmord an den Juden gewiesen. Zu dieser Zeit startete die Akademie der Wissenschaften der DDR ihr großangelegtes Forschungsprojekt Europa unterm Hakenkreuz, das nicht nur die Okkupationspolitik zum Thema hatte, sondern auch die Kollaboration von Deutschen und Nichtdeutschen mit den Massenmördern.

Der beginnende christlich-jüdische Dialog, der so wichtig für das Selbstverständnis vieler DDR-Bürger wurde, war jedoch für die SED-Presse noch kein Thema. Die Veranstaltungen zum 45. Jahrestag 1983 überschnitten sich dann mit den Jubiläen zu Ehren Martin Luthers, an dessen antisemitische Äußerungen der Historiker Joachim Petzold erinnerte. An der Gedenkveranstaltung 1985 in Dresden nahm erstmals der Ko-Präsident der zentralen Leitung des Jüdischen Weltkongresses Gerhard Riegner teil (der als Student 1933 von der Berliner Universität relegiert worden war).

In den Jahren 1985 bis 1989 erfuhren die Juden und die jüdische Geschichte eine Neubewertung in offiziellen Darstellungen und in den Gedenkveranstaltungen zum 9. November. Außen- und wirtschaftspolitische Überlegungen führten zu einem offeneren und Umgang der DDR mit dem jüdischen Erbe deutscher Geschichte. Im Jahr 1988 beteiligten sich auch die FDJ erstmals und sehr medienwirksam an der bislang den Kirchen vorbehaltenen Pflege jüdischer Friedhöfe. Zum 50. Jahrestag des Pogroms brachte das ND die Berichte von den staatlichen Veranstaltungen auf seine gesamte Titelseite. Eine Ursache dafür war, dass der Einfluss amerikanischer Juden auf die Politik des State Department in sehr problematischer Weise überschätzt wurde. Die DDR-Führung suchte durch eine Erinnerungspolitik, die den amerikanischen jüdischen Organisationen entgegenkäme, einen Türöffner für Erich Honeckers angestrebten USA-Besuch zu bekommen.

Es kam zu einer spürbaren Annäherung an den Jüdischen Weltkongress, vor allem zu seinem Präsidenten Edgar Bronfman, und an den Zentralrat der Juden in Deutschland, zu seinem Vorsitzenden Heinz Galinski. Beide wurden in die DDR eingeladen und erhielten hohe staatliche Auszeichnungen.

Der Staatsakt in der Volkskammer vom 8. November 1988 wurde dann zum Höhe- und auch zum Endpunkt der Gedenkveranstaltungen der DDR zum 9. November 1938. Die DDR strich sehr stark die Rede von Bundestagspräsident Jenninger heraus und bewertete sie im Sinne einer unterstellten Rehabilitierung des „Dritten Reiches“. Sie konnte als Kontrastprogramm die Gründung der Stiftung Judaicum vorweisen, deren Sitz die am Vorabend des Jubiläums prachtvoll restaurierte Neue Synagoge in der Oranienburger Straße war.

Im Jahre 1988 erschien auch die erste wissenschaftliche DDR-Monographie zum Novemberpogrom von Kurt Pätzold mit einem einprägsamen Vorwort von Irene Runge. Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker organisierten an der Universität Jena ein Symposium, das sich unter anderem auch mit einigen von Hitlers Professoren befasste, die, unter Verschweigen ihrer Verbrechen in der Nazizeit, in der DDR eine neue Karriere starteten; ein Thema, das in der Bundesrepublik damals noch mied, wer in der wissenschaftlichen Karriere vorankommen wollte.

Nichtkommunistische und nichtssozialistische Juden und ihre Leistungen wurden als unverzichtbare Marksteine des historischen Erbes der DDR hervorgehoben. Die Rolle deutsch-jüdischer Wirtschaftsbürger von Gerson Bleichröder bis Emil und Walter Rathenau konnte problemlos untersucht und gewürdigt werden. Die Presse und die elektronischen Medien betonten den jüdischen Anteil an der Entwicklung der deutschen Kultur. Zunehmend wurden auch die Verbindungen von kommunistischem und jüdischem Widerstand, so in der Gruppe Herbert Baum, untersucht und gewürdigt. Ungeachtet aller Defizite wurde der antifaschistische Auftrag der DDR nie in Frage gestellt oder relativiert.

Interessanterweise wurde aber die Rolle von Juden in der deutschen Arbeiterbewegung nur selten erwähnt. Solche hervorragenden deutschen Revolutionäre jüdischer Herkunft wie Paul Levi, Arthur Rosenberg, Arkadij Maslow oder August Thalheimer waren in den zwanziger Jahren aus der KPD ausgetreten oder ausgeschlossen worden und wurden ihre marxistischen Kritiker. Sie schlossen sich zum Teil linken Kleingruppen wie der KPD-Opposition oder dem Leninbund an. Leo Trotzkis hellsichtige Vorhersage, die er am 22. November 1938, unmittelbar nach dem Pogrom traf, blieb in der DDR Anathema. „Es ist ohne Schwierigkeit möglich, sich vorzustellen“, schrieb der vertriebene russische Revolutionär aus Mexiko an amerikanische Genossen, „was die Juden beim bloßen Ausbruch eines künftigen Weltkrieges erwartet. Aber sogar ohne Krieg wird die nächste Entwicklung der Weltreaktion mit Sicherheit die physische Ausrottung der Juden bedeuten.“

Solche bislang verschwiegenen Themen waren Teil einer Diskussion im November 1988 an der Akademie der Wissenschaften. Dort gab es zum ersten Mal kontroverse Debatten, in denen auch erstmals die wichtigen Analysen zum Faschismus und Antisemitismus von August Thalheimer, Wilhelm Reich und sogar von Leo Trotzki gewürdigt wurden. Doch fanden solche Debatten unterhalb der Ebene des offiziellen Diskurses statt. Zudem waren die wissenschaftlichen Debatten und vor allem die inoffiziellen Verständigungen in der Wissenschaften das eine. Der politische Rahmen war natürlich das andere. Die politischen Entscheidungsträger haben bis zum Ende der DDR kaum jemals Rat bei den Wissenschaftlern gesucht. Gerade deshalb konnten im „Großen Haus“, im Gebäude des ZK der SED, der eigentlichen Machtzentrale, verzerrte Wahrnehmungen der Wirklichkeit entstehen, von denen die Fehleinschätzung über die Rolle der Juden in der Politik der USA nur eine war.“



Peter Neuhof, Widerstandskämpfer aus Frohnau

am 09.11.2018 im Rathaus Treptow zum 80. Jahrestag der NS-Pogromnacht von 1938

„Ein paar Worte, Gedanken von einem, der mit viel Glück die braunen Jahre überlebt hat, auch weil es Menschen gab, die nicht mit Hitler paktierten, die mich in dieser grausamen Zeit unterstützten, mir Mut gaben, die ihre Menschlichkeit bewahrten. Es war die Zeit, in der so viele verfolgt wurden, besonders Juden. Deutschland vor 80 Jahren. Deutschland am 8. und 9. November 1938. Es fällt mir nicht leicht, daran zu erinnern, wenn ich an die vielen Angehörigen meiner Familie denke, die Opfer des Rassenwahns der Faschisten wurden. Und doch war das damals nur ein Vorspiel von dem, was noch kommen sollte. Ein grausames. Synagogen brannten, Nazimob tobte sich aus, auf Befehl, brandschatzte, mordete. In aller Öffentlichkeit. Ein jüdischer Junge hatte in Paris einen Nazidiplomaten niedergeschossen, verzweifelte Antwort in einer schier ohnmächtigen Zeit.

Für die Nazis wie gerufen. Geheimes Fernschreiben vom 9. November an alle Gestapo-Stellen und Gestapo-Leitstellen: “Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, insbesondere gegen deren Synagogen stattfinden. Sie sind nicht zu stören” und weiter: “Es ist vorzubereiten die Festnahme von 20 bis 30 000 Juden”. Dann begannen die Stunden für die zusammengetrommelte SA und HJ. Das war nicht spontaner Volkswille, wie die Zeitungen zu lügen wussten. Aus dem Tagebuch von Goebbels, dem Minister für Volksaufklärung und Propaganda, dem Einpeitscher jener Tage. “Der Führer hat angeordnet, dass 20 – 30 000 sofort zu verhaften sind… In Berlin brennen 5, dann15 Synagogen ab. Jetzt rast der Volkszorn … Laufen lassen. Als ich ins Hotel fahre, klirren die Fensterscheiben. Bravo! Bravo! Wie alte große Hütten brennen die Synagogen“. Goebbels aus München, dort trafen sich die “Alten Kämpfer”: “Gestern Berlin. Dort ist es ganz toll vorgegangen. Brand über Brand. Aber das ist gut so.” Terror vor aller Augen in Deutschland. Jeder konnte es sehen, aber allzu viele sahen weg, überhörten die Schreie der Gedemütigten, der Gequälten, mit denen man seit Generationen zusammengelebt hatte. Geschah es aus Angst, aus Scham oder weil man es billigte? Doch in jenen Tagen gab es nicht nur das Gebrülle der Nazis, nicht nur das betretene Schweigen so vieler, es gab eben auch das Mitgefühl, auch Hilfe. Aber das Leben jüdischer Menschen war nur noch ein Leben in Angst. Was bringt der morgige Tag? Bestimmte Straßen durften nicht mehr betreten werden. In Berlin wurden ganze Viertel gesperrt. Der Bann erstreckte sich auf Kinos, Theater, Konzertsäle, Sportplätze. Auf Parkbänken erschienen Schilder “Für Juden verboten ”. Städte, Dörfer wiesen darauf hin, dass sie judenrein seien. Es gab nichts, was die Nazis in ihrer rassistischen Hetze ausgelassen hätten. „Triumph des Willens“ hieß ein Propaganda-Film der berüchtigten Leni Riefenstahl über den Reichsparteitag 1935. Triumph der Nazis über den Verstand der Menschen. Triumph der Unmenschlichkeit. Jene, die rechtzeitig auf die verbrecherische Absichten der NSDAP gewiesen hatten, waren längst politisch ausgeschaltet, selbst Opfer.

Und die Kirchen schwiegen. Bis auf wenige Stimmen. Die Juden sollten und mussten für die Verbrechen, die an ihnen verübt wurden, auch noch zahlen. Zynismus ohnegleichen. Göring, einer der brutalsten Gefolgsleute Hitlers, ordnete an: eine Milliarde Reichsmark Kontribution. Das Geld floss in die klammen Kassen der Nazis, die Geld für ihre Aufrüstung dringend benötigten. Europa schwieg, sah zu. Das werde schon vorübergehen. Es war die Zeit des Appeasement, der Beschwichtigungspolitik. Hitler bekam freie Bahn. Was zählten da schon die vielen Toten, die Ermordeten vom November 1938. Und doch war Auschwitz schon ganz nah. Hitler rüstete auf. Panzer, Flugzeuge, Kanonen. Zog die Wehrmacht nicht bereits im März 1938 mit klingendem Spiel ins entmilitarisierte Rheinland ein? Kehrte nicht Österreich “Heim ins Reich”, wurde die CSR nicht zerstückelt und wenig später überfallen? Gab es nicht das schändliche Münchener Abkommen? Die Braunen ließen nie Zweifel darüber aufkommen, was sie mit den Juden vorhatten. Sie grölten es nicht nur auf den Straßen, “Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s uns noch mal so gut”, sie dokumentierten es in Verordnungen, in Gesetzen, sie schrieben darüber, sie hetzten in der Presse, sie geiferten in ihren Reden. Kaum die Macht an sie übertragen, riefen sie 1933 zum ersten Boykott auf. Juden wurden Freiwild, verfolgt, gekennzeichnet, Judenstern, Berufsverbote, Zwangsarbeit, Zwangsnamen. Kaum ein Monat ohne neue Erniedrigungen. Deutschland erwache, so hieß es doch. Auch die zukünftige deutsche Elite begann aufzuwachen und das hieß: Juden raus aus, wo immer sie lehrten, wer immer sie waren. Thesen wider den undeutschen Geist wurden im April 1934 an der Berliner Universität angeschlagen. “Der Jude kann nur jüdisch denken, schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter. Der Student, der undeutsch schreibt und spricht, ist außerdem gedankenlos und wird seiner Aufgabe untreu.” Kommende deutsche Elite wurde so vorprogrammiert für die kommenden Aufgaben. Und dazu gehörte auch, dass, Zitat: der “undeutsche Geist aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt wird”. Ausmerzen, aus der Sprache der Undeutschen, der Nazis. Und es vergingen nur noch einige Jahre, dann wurden Menschen ausgemerzt, Millionen Menschen, für die in einem zukünftigen Nazi-Europa kein Platz mehr sein sollte. Eben Endlösung genannt. Millionenfacher Mord an Juden, Polen, sowjetischen Bürgern – Untermenschen genannt – geplant und durchgeführt. Juden in Deutschland waren längst keine Reichsbürger mehr. Und Auschwitz rückte immer näher. Also nur weg aus diesem Deutschland. Auswandern! Aber wohin? Fragen über Fragen und kaum Antworten.

Wer konnte, wanderte aus oder versuchte es. Viele, allzu viele aber hatten noch Illusionen, wussten nicht, wie und wo sie im Ausland leben sollten. Verzweiflung wohin man hörte. Wer nimmt uns auf? Juden? Haben wir nicht genug Probleme im eigenen Land. Und jetzt noch Juden aufnehmen? So dachten und handelten viele Politiker. Die Grenzen wurden immer unüberwindbarer. In den USA wurde eine Bürgschaft verlangt, ein sog. Affidavit. Und wenn man niemanden hatte, der für einen bürgte? Andere verlangten für die Einreise einen Arier-Nachweis. Wie sollte ein Jude den erbringen? Schweizer Politik erreichte, dass Pässe von Juden, wenn sie denn noch welche besaßen, mit einem J versehen wurden, um sie zu erkennen und damit abweisen zu können. Nur weg aus diesem Deutschland, das einmal deine Heimat war. So dachten viele. Auch meine Eltern, die so lange gezögert hatten. War mein Vater nicht Kriegsteilnehmer, zweimal schwer verwundet, hatte er nicht von Wilhelm dem 2. das EK überreicht bekommen? Zählte das nicht mehr? Es zählte nicht mehr. Der Jude Neuhof, war er nicht auch noch Kommunist? Ein bisschen viel in dieser Zeit. 1935 ist Brasilien nicht das Land der Träume, aber hoffentlich ein Zufluchtsort. Endloses Warten auf eine Antwort. Aber wer brauchte schon den Mitarbeiter einer Getreide-Export-und-Import- Firma, der mein Vater war. Ja, wäre er Arzt oder Ingenieur. Auch Frankreich nicht mehr zu erreichen. Wir besaßen keine Pässe. Frankreich und Großbritannien verlangten für die Einreise ein Visum, auch Belgien, andere Länder ebenfalls. Aber ohne Pässe? Die Zeit lief davon. Schließlich das Ausreiseverbot.

Die “Endlösung “kam immer näher. Für Karl Israel Neuhof, wie sich mein Vater nun nennen musste, endete das Berufsleben als Zwangsarbeiter in der Judenkolonne der Farbenfabrik Warnecke und Böhm in Weißensee. Ihm blieben noch fünf Jahre der Erniedrigung bis zu seiner Ermordung im KZ Sachsenhausen. In England fanden in letzter Minute 10 000 jüdische Kinder eine neue Heimat, eine sichere Zukunft. Ihre Eltern sahen sie nie wieder. Ich stand auch auf der Liste. Meine Eltern ließen mich nicht fahren. Hofften sie immer noch, es werde nicht so schlimm kommen? Juden unter dem Hakenkreuz. Juden im Reich der Barbaren. Der größte Völkermord in der Geschichte der Menschheit begann, planmäßig zu verlaufen, um ein Lieblingswort der Naziführung zu gebrauchen. Alles geschah planmäßig. Auch die Züge in die Vernichtungslager fuhren planmäßig. Sie sollten ja auch für den Sieg rollen, die Räder. So stand es jedenfalls auf den Lokomotiven. Es dauerte Jahre, bis sie endlich rückwärts rollten und schließlich zum Stehen kamen, weil alles in Trümmern lag. Endlich. Kaum ein Jude, der diese Zeit, die Zeit der Befreiung, erleben durfte. Die Endlösung erfolgte preußisch korrekt … Wie ging das vor sich? Deportationsbescheid, Auflösung der Wohnung. Verkauf, was noch zu verkaufen war, Abschied von einem Leben, das schon lange keines mehr war. Judensachen billig zu haben. Die Gelegenheit. Mitleid? Keiner fragte. Eine so günstige Gelegenheit kam so schnell nicht wieder. Zeit der Kriegswirtschaft 1941, 1942. Was an Mobiliar noch übrig bleibt, wird billig an die “Volksgenossen versteigert. Alles aufgelistet in einer 16 -seitigen Vermögenserklärung. Es muss schon seine Ordnung haben … Die Wohnung versiegelt, der neue Mieter fragte nicht und wenn doch, Judenwohnung, na und!

Im Berliner Westen, in der Levetzowstraße, stand einst ein jüdisches Gotteshaus, eine Synagoge. In der Pogromnacht geschändet, verwüstet, angezündet. Nur Trümmer blieben zurück. Vier Jahre später wurden die jüdischen Bewohner der Stadt von hier aus, dem Sammellager, in den Tod getrieben. In 46 sog. Osttransporten der Deutschen Reichsbahn mit SS Begleitung. Ausschleusung genannt. Alles geschah in aller Öffentlichkeit, von den Güterbahnhöfen Putlitzstraße und Grunewald. Am hellen Tage. Jeder konnte es sehen, wenn er gewollt hätte. Proteste oder öffentlich gezeigtes Mitleid hätten die Begleitkommandos nicht tatenlos hingenommen, aber sie wären ein Zeichen gewesen. Es blieb aus. Das setzten mutige Frauen an jenem 27. Februar 1943 bei der sog. Fabrikaktion, als ihre jüdischen Männer – längst Zwangsarbeiter – verhaftet wurden mit dem Ziel, sie zu Befestigungsarbeiten am Atlantikwall kaserniert einzusetzen. Diese Frauen, ihre Zahl wird unterschiedlich angegeben, forderten in der Rosenstraße, einem Haus der Jüdischen Gemeinde, dort waren ihre Männer inhaftiert, mit denen sie in sog. Mischehe lebten, lautstark deren Freilassung. Die Gestapo fürchtete wohl zum ersten Mal ein Übergreifen eines derartigen Protestes und ließ die Männer ”frei”. Mit der Stimmung in Deutschland stand es nicht gerade zum Besten, mit den Nazis ging es bergab, die Schlacht von Stalingrad war gerade geschlagen und verloren. Da konnten Proteste leicht gefährlich werden. Ja, wenn der Funke übergesprungen wäre, wenn Hunderttausende Frauen gefordert hätten. Schluss mit dem Krieg, wir wollen unsere Männer wiederhaben. Ja, wenn.

In Deutschland waren keine Wahnsinnigen am Werke, hier planten die Nazis bürokratisch exakt einen Völkermord, auf der Wannseekonferenz beschlossen, und damit die Gaskammern und Krematorien von Auschwitz.

1933 feierten die Nazis die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin. Reinigung vom “undeutschen Geist” genannt. Die Zeit des braunen Geistes war angebrochen. Literatur auf dem Scheiterhaufen, auch und natürlich Heinrich Heine. Als hätte er das Kommende geahnt, prophezeite er “Dort, wo man Bücher verbrennt“, er meinte ein Treffen der Burschenschaften auf der Wartburg, bei dem auch Bücher jüdischer Herkunft den Flammen übergeben wurden, “dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.” Das sollte den Nazis vorbehalten bleiben. Die Welt reagierte zu spät und mit Entsetzen. Nicht die ganze Welt muss gesagt werden. Als die Nazis auch im überfallenen Dänemark vorhatten, die dort lebenden Juden zu deportieren, d.h. in die Vernichtungslager zu schicken, begann eine einzigartige Rettungsaktion der dänischen Bevölkerung. Innerhalb von wenigen Stunden gelang es unzähligen Helfern, 7 000 jüdische Bewohner Dänemarks mit großen und kleinen Booten nach Schweden in Sicherheit zu bringen. Unvergessen.

Hitler und seine Helfer – es waren allzu viele – wollten Europa neu ordnen. Juden sollten darin keinen Platz mehr haben. Da muss ein Mann genannt werden – er wird später noch eine Rolle spielen -, der sich nie die Hände schmutzig gemacht hatte und doch die Mitverantwortung für den Mord an den Juden trug. Er kommentierte die berüchtigten Nürnberger Gesetzte, an deren Entstehung er bereits mitgewirkt hatte. Ja, das war der Dr. Globke, der spätere und unentbehrliche Staatssekretär von Bundeskanzler Adenauer. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, der Schwur der Überlebenden aus den Lagern der Braunen. Die Geschichte lief anders, jedenfalls anders dort, wo ich lebte. Im Westen der Stadt. Die Braunen kamen schnell wieder, sie färbten sich um, es wurde ihnen leicht gemacht. Nur so viel: Das berüchtigte Gesetz 131 öffnete Unzähligen von ihnen – wären es nur die Kleinen gewesen – die Rückkehr in Amt und Würden. In die Verwaltung, in die Polizei, in die Justiz und und und. Und was wurde aus Tätern, wenn sie endlich einmal vor Gericht standen? Ich meine nicht Eichmann, so sehr darüber Genugtuung herrschte. Endlich einer der Haupttäter vor Gericht, aber Globke durfte nicht erwähnt werden. Ein Deal, Waffen, Wirtschaftshilfe gegen Schweigen. Zu einem Prozess, der vor Jahren in Moabit stattfand, gegen einen Mann, der 30 000 Berliner Juden ins Gas geschickt hatte. Gemeint ist der Stellvertreter bzw. Leiter der Gestapo-Leitzentrale Berlin, Dr. Venter. Ich habe den Prozess vom Anfang bis zum Ende mitverfolgt. Venter, SS-Sturmbannführer und Regierungsrat, ein nach 45 wohlhabender Geschäftsmann aus Neuwied am Rhein, ein Schreibtischtäter. Aber es galt nunmehr nach tatbezogenen Merkmalen zu urteilen, nicht mehr nach täterbezogenen. Eine Neufassung des Paragraphen 50 Absatz 2 des Strafgesetzbuches machte das möglich. Was ursprünglich für Verkehrsdelikte gedacht war, führte zu einer Amnestie für NS-Verbrecher. Das Ergebnis nach monatelanger Verhandlung: Freispruch. Es hätten keine niedrigen Beweggründe nachgewiesen werden können. Der Mann hatte eben nur seine Pflicht getan. Auch daran sollte man an einem Tag wie heute erinnern und an manches mehr.

Geschichte wiederholt sich nicht. Sind wir sicher? “Es ist geschehen – folglich kann es wieder geschehen“, schrieb der Auschwitz-Überlebende, Schriftsteller Primo Levi. Längst gehört Antisemitismus wieder zum Alltag in Deutschland. Er ist nicht nur dann und wann zu hören. Der Faschismus kam nicht über Nacht, seine Gedanken verschwanden nicht mit seinem Ende. In vielen Parlamenten erheben heute Nachbraune ihre Stimme, auch auf der Straße. Überall erstarken sog. Populisten. In Polen, Skandinavien, Tschechien, Ungarn, Österreich, Frankreich, nicht zuletzt in Deutschland. Besorgniserregende Entwicklungen. In Sachsen stellt die AFD – alles andere als eine Alternative für Deutschland – die stärkste Fraktion. Im Bundestag sind ihre dumpfen Parolen zu hören. In deutschen Landen hört man sie grölen. Deutschland den Deutschen. Gesundes Volksempfinden, auf das sich einst die Nazis beriefen? Der Anführer der AFD, Gauland, ist tief mit der braunen Vergangenheit verwurzelt, meinte er doch, wir, die Deutschen könnten stolz sein auf unsere Soldaten. Er meinte ausdrücklich jene, die da auf Befehl und auch willig Europa überfallen, die Welt in Brand gesetzt hatten, also die Deutsche Wehrmacht, die SS. Für ihn, auch Fraktionschef der AFD im Bundestag, waren ja sowieso Hitler und seine Helfer nur ein Vogelschiss in, wie er sagte, in über 1 000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte. 6 Millionen Juden ermordet. 50 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg, von Hitler und den Seinen entfesselt. Ein Vogelschiss in über 1 000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte. Der Gauland hat da wohl noch ein paar weitere Kapitel übersehen. Das ist der Geist, der Ungeist der Vergangenheit in der Gegenwart. Das ist der Weg zurück. Gauland ein Hetzer übelster Sorte, so Ralf Stegner, SPD-Vize, der den Ausschluss von Gauland aus dem Bundestag forderte. Recht hat er. Schon droht die CSU, sich noch weiter nach rechts zu öffnen. Um Rechts zu bändigen, um nicht noch mehr Stimmen zu verlieren. Der Herr Seehofer … Dann steht ja einer zukünftigen Koalition nichts mehr im Wege.

Man könnte stundenlang über die Probleme im Nahen Osten reden, auch über die Politik Israels, auch Kritik üben. Aber Kritik ist nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus, wie es so manche unterstellen. Ich übersehe und überhöre aber auch nicht Stimmen, Hasstiraden und Angriffe aus der moslemischen Welt, auch hier in Berlin. Stimmen, die judenfeindlicher nicht sein können. Und nicht nur Stimmen. Antisemitischer Alltag. Aufstehen gegen Antisemitismus und Rassismus in Deutschland, Europa und überall. Noch ist Zeit.

Novembertage in Deutschland, die in die Geschichte eingingen. Auch hoffnungsvolle darunter.
9. November 1918. Kieler Matrosen hissten Rote Fahnen, Schluss mit dem Krieg. Der Kaiser musste gehen, aber die Generäle blieben, und nicht nur die. Kurz der Traum von einer freien sozialistischen Republik Deutschland, wie sie Karl Liebknecht vor dem Stadtschloss in Berlin verkündete. Zu viel für die SPD-Führung, die Scheidemann auf den Balkon des Reichstagsgebäudes rief. Sozialismus, wo kommen wir da hin. Hatte nicht Ebert gesagt, er hasse nichts mehr als die Revolution. Also verkündete Scheidemann in aller Eile die Deutsche Republik. Und schon stand ein Noske bereit, im Bündnis mit Freikorps und Reichswehr. “ Einer muss der Bluthund sein.” Wieder einmal lief die Geschichte rückwärts. Kommunisten und Sozialdemokraten fanden nicht zusammen. Wie sollten sie auch nach 1914 und 1918?

Schließlich Weimar, für viele die ungeliebte Republik. Sie hätte verteidigt werden müssen. Dann tauchte eine gescheiterte Existenz auf, ein Mann namens Hitler. Der wollte sich schon am 9.November 1923 an die Macht putschen. Er musste noch 10 Jahre warten, bis er mächtige Gönner fand, die auf ihn setzten. Deutsche Geschichte im Rückwärtsgang. Wieder einmal. Und wieder war es ein 9. November, der 9. November 1938, der Pogrome wie im Mittelalter einleitete. Die “alten” Kämpfer waren gerade in München dabei, ihrer Helden vom einst zu gedenken, als die Nachricht von den Schüssen des verzweifelten Grynszpan eintraf. Für Goebbels die Gelegenheit, eine Brandrede gegen die Juden zu halten. Danach die Befehle an die SA. Bei geringstem Widerstand rücksichtslos von der Waffe Gebrauch machen. Das Morden und Wüten begann. Synagogen brannten, Menschen verbrannten, bald sollte ganz Europa brennen. Das Werk der Braunen Brandstifter. Die sind wieder, noch immer, unter uns. Niemand sollte die Augen verschließen, wegsehen, weghören oder sagen, das geht vorbei. Das kann schief gehen. “Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen”, schrieb schon vor Jahren der jüdische Publizist Primo Levi. Natürlich schreiben wir nicht das Jahr 33, aber nicht nur in Dresden grölen Nachbraune, angestachelt von üblen Hetzern “Wir sind das Volk!“ und “Ausländer raus!”. Rassistisches Gebrülle. Die AFD ist ein Sammelbecken rechter Gesinnung. Das soll nicht an so manches erinnern, das längst der Vergangenheit zugeordnet schien? Heute Realität in deutschen Landen.

Novembertage 80 Jahre nach dem Pogrom. Da liefen am 9. November 2018 Nachbraune mit ihren Losungen durch die Stadt. Der Innensenator hatte es ihnen verboten, doch deutsche Verwaltungsrichter sahen das anders, hoben das Verbot auf. Auf dem rechten Auge blind, wie schon so oft in deutscher Geschichte?

Das und vieles andere mehr sollten wir nicht übersehen, nicht überhören, gerade wenn wir uns an jene schreckliche Zeit erinnern, da Juden, verfolgt, gejagt, misshandelt, ermordet wurden.

Es gab noch einen Novembertag, auch der ging in die deutsche Geschichte ein. Ein Novembertag 1989, der 9. November. Ende eines Versuches, auf deutschem Boden deutsche Geschichte neu zu schreiben. Er misslang.“