Stolperstein-Verlegung für Else und Hermann Einhorn und Blima und Jakob Strenger
17. Oktober 2025


Prof. Barbara Einhorn und Marcus Strenger (Foto: Karlotta Ehrenberg)

Rede von Frau Prof. Barbara Einhorn
„Ich begrüße Euch alle ganz herzlich bei dieser Stolpersteinverlegung.
Ich bin Barbara Einhorn. Ich komme aus Neuseeland und habe die halbe Welt umkreist, um mit Euch zusammen heute hier in Berlin-Treptow meine ermordeten Familienmitglieder zu ehren. Ich danke meinen Verwandten, meinen Freundinnen und Freunden, die mich heute hier begleiten. Vor allem aber danke ich der Stolperstein-Initiative Treptow, die dieses Erinnern ermöglicht und so vorzüglich vorbereitet hat.
Ich bin als Kind deutsch-jüdischer Flüchtlinge in Neuseeland geboren. Meinen Eltern Helmut und Ester Einhorn gelang es kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, vor den Nazis zu fliehen und in Neuseeland Asyl zu finden.
In Neuseeland bin ich mit meinen Eltern und meiner Schwester Jule ohne erweiterte Familie aufgewachsen. Also ohne Großeltern, ohne Onkel und Tanten, ohne Cousins und Cousinen. Keine meiner Großeltern habe ich kennenlernen dürfen. Wir waren tatsächlich die einzigen Einhörner in ganz Neuseeland. Aber es gibt meine Schwester und mich und nun, wie durch ein Wunder, zwei neu entdeckte Cousins aus der Familie Einhorn: Michael Strenger in Israel, Enkel meiner Großtante Blima und ihres Mannes Jakob Strenger, und Marcus Strenger, Urenkel von Blima und Jakob. Meine Schwester Jule in Neuseeland und ich, Michael und Marcus Strenger, unsere Kinder und Enkel, und sogar eine Urenkelin von mir, sind die Nachfahren der Familienmitglieder, die wir heute ehren. Es ist für mich eine ganz besondere Freude, Marcus Strenger heute und hier begrüßen zu dürfen. Er ist in Brasilien geboren und aufgewachsen, lebt aber heute in Zürich. Ihm begegne ich in dieser Stunde zum allerersten Mal persönlich.
Bei den vier Menschen, für die hier Stolpersteine gelegt werden, handelt es sich um meine Großeltern Hermann und Else Einhorn und eine ältere Schwester meines Großvaters, Blima oder Blume, mit ihrem Mann Jakob Strenger. Hermann und Blima stammten aus Grybów, damals Grünberg, in Polen. 1907 hat Hermann in Gliwice, damals Gleiwitz, im Laufe seiner Ausbildung als Holzfachmann Else Brauer kennengelernt und geheiratet. 1908 ist das Ehepaar nach Berlin gezogen. Mit ihren beiden Söhnen, Hans und Helmut, der später mein Vater wurde, haben sie die Jahre des Deutschen Reiches, den 1.Weltkrieg, die Weimarer Republik durchlebt und dann die Nazizeit erlitten. In diesem Haus haben sie zuletzt bis März 1939 gewohnt, bevor sie im August 1942 nach Riga deportiert und dort erschossen wurden. Die Strengers wohnten auch lange Jahre in Berlin, bis Jakob während der sogenannten ‚Polenaktion‘ der Nazis im Oktober 1938 nach Polen abgeschoben wurde und einfach verschwand. Laut dem Gedenkbuch des Bundesarchivs verstarb er dort irgendwann im Jahr 1939 in einem Internierungslager. Blima ist auf der Suche nach
Jakob im Juli 1939 nach Grybów zurückgekehrt, wo sie mit ihren jüngeren Geschwistern Izaak und Sara und Saras Mann zusammengelebt hat, bis sie alle drei am 20. August 1942 in einem Massaker auf einer Wiese vor der Stadt erschossen wurden.
Hermann war in seinem Beruf als Holz-Fachmann erfolgreich, konnte nach dem 1. Weltkrieg mit Kollegen zusammen eine eigene Firma gründen. Schließlich gelang es der Familie Einhorn nach den vielen Umzügen, von denen mein Vater Helmut mir kurz vor seinem Tod erzählt hat, in dieses schöne Haus zu ziehen, wo sie zuletzt mit den Strengers und zeitweise auch mit Hermanns jüngerer Schwester Anna und ihrem Mann Robert Emmerich zusammengelebt haben.
Wie kam ich zu diesen Informationen, zu diesen Kenntnissen über eine Familie, die ich doch nie persönlich erlebt habe?
Ich bin vor vielen Jahren als Doktorandin der Germanistik das erste Mal im Leben nach Berlin gekommen, um die Literatur der DDR zu studieren. Seitdem komme ich immer wieder nach Berlin, habe in Berlin Forschung betrieben, habe hier Verwandte und FreundInnen. Berlin ist für mich wirklich zur zweiten Heimat geworden.
Ich fühle mich privilegiert und wähne mich glücklich darüber, dass ich in den letzten Jahren mithilfe der Archivarbeit hier in Berlin wie durch viele persönliche Kontakte hier wie in Polen meine Großeltern, die Strengers und andere ermordete Familienmitglieder neu entdeckt habe und näher kennenlernen durfte. Es ist sehr bewegend für mich, heute mit euch allen hier sein zu dürfen, um ihrer zu gedenken.
Der Spruch: ‘Erinnern heißt leben’ weist auf die Bedeutung des Erinnerns für die Gegenwart und die Zukunft hin. Es existiert auch ein gleichnamiger Film von Róża Berger-Fiedler aus den letzten Jahren der DDR. Der von den Nazis Ermordeten zu gedenken, bringt sie natürlich nicht ins Leben zurück, doch sorgt es dafür, dass sie durch unser Erinnern zum Wohle aller Menschen weiterleben. Heute in 14 Tagen werden auch in Grybów für drei weitere Familienmitglieder Stolpersteine verlegt. Da heißt das Projekt ‚Die ganze Welt in Erinnerung tragen‘. Wir dürfen unsere Hoffnung auf eine friedlichere, menschlichere Welt nicht aufgeben. Dazu dienen auch die heute für meine und Marcus’ Familienmitglieder verlegten Stolpersteine.
Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid und mir so wohlwollend zugehört habt.“




Beisammensein auf Einladung vom BdA Treptow und der Kleingartenanlage „Treptows Ruh“