Stolperstein-Verlegung für das Ehepaar Marie und Benno Jottkowitz am 27. Januar 2025

14. Mai 2025

Rede von Kerstin Schaar während der Verlegung der Stolpersteine in Niederschöneweide

„Wir kommen heute hier zusammen, um Stolpersteine zu verlegen. Sie sollen erinnern, mahnen, erzählen – das Schicksal der beiden Menschen, die hier einst wohnten, nicht vergessen machen. Das ist wichtig, heute mehr denn je.

Hier, in diesem Haus, wohnte das Ehepaar Jottkowitz. Es war ihr letzter von ihnen selbst gewählter Wohnsitz.
Wer waren diese Leute, warum legen wir heute Steine der Erinnerung für sie beide? Was war ihre Geschichte?

Benno Jottkowitz wurde am 20. Mai 1858 in Kochlowitz in Oberschlesien und Marie am 2. August 1872 in Bärenstein im Erzgebirge geboren.

Als junger Mann ging Benno nach Berlin und studierte Medizin an der Friedrich-Wilhelms-Universität / heute Humboldt-Universität. 1889/1890 promovierte er dort als Doktor der Medizin.
1903 war er als Dr. med. in Dippoldiswalde/Glashütte gemeldet.

Ab 1910 wohnte er, nunmehr Sanitätsrat, in Berlin-Niederschöneweide – nicht weit von hier – in der Berliner Str. / heute Schnellerstraße / Nr. 119.
Im Jahr 1922 führte er den Titel Oberregierungs-Medizinalrat und war Leiter der Orthopädischen Versorgungsstelle im Reichsarbeitsministerium.
Nach dem 1. Weltkrieg hatte er dort gewiss reichlich zu tun.

Über Marie habe ich leider nicht viel finden können, sie hatte aber eventuell als Wirtschafterin bei Herrn Dr. Benno Jottkowitz gearbeitet.
Am 25. April 1929 haben Marie Reichel und Benno Jottkowitz geheiratet. Er war damals 71 und sie 57 Jahre alt.
Ab 1939 sind sie unter dieser Adresse hier in der Köllnischen Straße 47 verzeichnet.
Am 19. April 1940 hinterlegte Dr. Benno Jottkowitz, er war bereits 82 Jahre alt, sein Testament bei dem Rechtsanwalt und Notar Max Rumpel in der Brückenstraße 1 in Berlin-Niederschöneweide. Sicherlich hoffte er, seine Ehefrau Marie damit zumindest finanziell abzusichern.

Ab dem Jahr 1941 findet sich der Eintrag zum Wohnort des Ehepaars Jottkowitz in Berlin-Neukölln, Pannierstraße 22, bei Herrn Richard Philipp. War das eine Zwangswohnung, wie es ja damals so viele gab, wo zuerst viele Berlinerinnen und Berliner jüdischer Herkunft oder Zugehörigkeit eingewiesen wurden?
Wir wissen es nicht genau, doch ist stark anzunehmen, dass es so war.

Dann findet sich in den Archiven nur noch die Anzeige des Todes von Dr. Benno Jottkowitz:
Am 21. Juni 1944 im Krankenhaus Neukölln. Er wurde 86 Jahre alt.

Doch wie ging es weiter? Wie erging es seiner Frau Marie?

Marie war jetzt 72 Jahre alt. Aus der Zwangswohnung musste Marie raus, sie selbst galt ja als arisch und ihr Mann war tot. In der Trützschlerstraße 32 in Berlin-Johannisthal bei Herrn Hohm wurde sie schließlich ab dem Winter Ende 1944 für 30 Reichsmark monatlich zur Untermiete untergebracht. Heizung, Gas und Beleuchtung kosteten extra.

Marie Jottkowitz hatte kaum Einkommen, nur eine kleine Rente von monatlich 71,40 Reichsmark standen ihr zur Verfügung. Das Erbe Ihres Mannes hätte sie zu Ihrem Unterhalt nutzen können. Doch er war Jude gewesen, sein Vermögen war vom Staat eingezogen worden. Und sie war entrechtet, da sie sich damals nicht von ihrem jüdischen Mann getrennt hatte.

Wieder wandte sie sich an den Rechtsanwalt Max Rumpel und bat dringend um Hilfe. Herr Rumpel versuchte zu helfen, schrieb mehrfach die Vermögensverwertungsstelle und die Dresdner Bank an. Doch das Verfahren wurde immer wieder verschleppt und verzögert, obwohl die Aktenlage eindeutig war und Marie das Erbe sehr wohl zugestanden hätte.

Sie war krank, brauchte Geld für Ärzte und Medikamente, für Heizung, Licht und Essen. Sie bekam ihr Geld nicht. Sie starb.

Am 16. Juli 1945 meldete Herr Hohm den Tod der Marie Jottkowitz dem Standesamt. Sie wurde 72 Jahre alt.“